6. Experteninterview
Im 6. Experteninterview „Bewegungsanalyse und Einlagen“ gibt der Sportwissenschaflter und Bewegungsanalytiker Marco Krückemeier Auskunft zu den Themen Bewegungsanalyse und orthopädische Einlagen sowie zur richtigen Laufschuhversorgung.
Lauf- und Bewegungsanalyse im Blickpunkt
Laufschuhkauf.de: Lauf(band)analysen werden inzwischen in fast allen Geschäften die im Bereich der Laufschuhberatung tätig sind angeboten. Wie schätzt du die Beratungsqualität im deutschen Sport- und Laufschuhhandel ein?
Marco Krückemeier: Meine Einschätzungen basieren auf Grundlage der Erkenntnisse aus unseren eigenen Bewegungsanalysen. Leider musste ich in den vergangen Jahren immer wieder feststellen, dass der Fachhandel trotz einer durchgeführten Laufbandanalyse den falschen Schuh beraten hat. Hinzu kommt noch, dass ohne Kenntnisse über Laufstil, Schuheigenschaften und Trainingszustand, der Orthopädietechniker eine Einlagenversorgung durchführte, die aus einer statischen Analyse resultierte. Generell würde ich aber trotzdem behaupten, dass die Beratungsqualität im deutschen Sport – und Laufschuhhandel in den letzten Jahren qualitativ besser geworden ist.
Laufschuhkauf.de: Viele Läufer laufen nicht sicher auf dem Laufband. Wie sinnvoll sind dann Laufbandanalysen überhaupt?
Marco Krückemeier: Natürlich muss sich der Läufer an die Umgebung (Lauflabor) an den Untergrund (Laufband) erst einmal gewöhnen. Diese Eingewöhnungszeit sollte mind. 10 Min. bei kontinuierlicher Laufgeschwindigkeit sein. Der Laufstil ist jedoch nur minimal anders als zu dem in der freien Natur. Ich habe Läufer mit einer Kamera auf der Tartanbahn gefilmt und anschließend wurden die Läufer von einer Kollegin in unserem Labor analysiert. Die Ergebnisse waren gleich.
Laufschuhkauf.de: Laufbandanalyse, Videoanalyse, Laufstilanalyse, Bewegungsanalyse usw. viele Begriffe für die gleiche Sache oder gibt es in diesem Begriffshaufen Differenzierungen und Unterschiede?
Marco Krückemeier: Der Begriff der Bewegungsanalyse umschreibt meiner Meinung nach die Analyse der menschlichen Bewegung als großes Ganzes und schließt alle anderen Begriffe mit ein. Eine Bewegungsanalyse sollte immer videogestützt sein und in Kombination mit einer Laufstilberatung bzw. Laufstilanalyse durchgeführt werden. Für die Umsetzung einer solchen Analyse ist die Nutzung eines Laufbandes aus meiner Sicht wichtig, um die Laufgeschwindigkeit konstant zu halten und möglichst standardisierte Bedingungen zu erreichen.
Laufschuhkauf.de: Worauf kommt es bei einer Bewegungsanalyse vor allem an? Welches sind die wichtigsten Qualitätsmerkmale?
Marco Krückemeier: Wie schon angesprochen, sollte der Läufer sich eine gewisse Zeit auf dem Laufband einlaufen. Laufbandanalysen sollten immer in sportlicher Bekleidung durchgeführt werden. Der Bewegungsanalytiker wird zusätzlich einige Fragen stellen: Welche Sportart? Wie viel km in der Woche? Wann treten Probleme auf? Trainingsumfänge und Inhalte?
Dann werden hoffentlich Markierungen und Linien über Sehnen, Muskeln und Gelenken gezeichnet. Das Lauflabor sollte gut ausgeleuchtet sein und über mindestens zwei Kamerapositionen verfügen. Ich denke, wenn diese Gegebenheiten vorhanden sind, ist man in guten Händen.
Laufschuhkauf.de: Was kostet so eine Analyse? Welche Unterschiede gibt es?
Marco Krückemeier: Es kommt auf den Umfang der Analyse an. Für eine videogestützte Analyse zur Beratung eines Laufschuhs würde ich mit einem Umfang von 30 Minuten und ca. 49,- € rechnen. Die Analyse von Verletzungen (u.a. Runnersknee, Patellareizung, Achillessehnenreizung, Rückenbeschwerden) ist sehr aufwendig und wird in der Regel zwischen 45-90 Minuten dauern. Hier liegen die Kosten zwischen 89,- € bis 159,- €.
Laufschuhkauf.de: Wann empfiehlst du eine professionelle Bewegungsanalyse?
Marco Krückemeier: Zu einer optimalen Einlagenversorgung gehört immer eine dynamische Analyse. Leider wird darauf nur selten hingewiesen. Sportlern kann ich nur raten, prophylaktisch eine professionelle Bewegungsanalyse durchführen zu lassen, um sicher zu stellen, auch mit dem richtigen Material und Laufstil unterwegs zu sein.
Während meiner aktiven Zeit als Leichtathlet erfuhr ich einige Trainingsrückschläge aufgrund von Achillessehnenreizungen. Erst nachdem ich eine Laufschuh- und Einlagen-beratung, basierend auf einer video-gestützten Analyse erhalten habe, bekam ich das Problem in den Griff. Vor dieser Zeit bin ich davon ausgegangen, dass ich beidseitig ein Neutralfußläufer bin. Dieses war jedoch nicht der Fall. Die Kombination aus moderater Längsgewölbeführung und Neutralschuh für die linke Seite, und starker Längsgewölbeführung und Neutralschuh für die rechte Seite war und ist für mich immer noch die ideale Kombination.
Laufschuhkauf.de: Was sind die zentralen Ergebnisse solch einer Untersuchung im Allgemeinen?
Marco Krückemeier: Aus vier verschiedenen Kameraeinstllungen kann ich den Fußaufsatz, Kniestellung, Beckenstellung und Oberkörperbewegung begutachten. Häufige Ergebnisse sind erhöhte Knieaußen/innenrotationen, Beckenschiefstände in der mittleren Stützphase, erhöhte Pronation- und Supinationsbewegungen des unteren Sprunggelenks.
Nutzen von orthopädische Einlagen
Laufschuhkauf.de: Wie stehst du zum Thema orthopädische Einlagen? Sind orthopädische Einlagen deiner Meinung nach „Krücken für die Füße“ oder „eine sinnvolle Hilfe“?
Marco Krückemeier: Grundsätzlich sehe ich Einlagen als sehr sinnvoll an. Ich bin ein Freund vom Minimalprinzip bei der Einlagenversorgung. Manchmal ist weniger gleich mehr für den Sportler. Eine orthopädische Sporteinlage für den Läufer sollte immer dynamisch und flexibel sein. Bewegungen sollten wirklich nur da unterstützt werden, wo eine Korrektur auch nötig ist. Nicht jeder Läufer der eine erhöhte Pronationsbewegung hat, muss mit einem Stabilschuh oder mit orthopädischen Einlagen versorgt werden. In Fachkreisen wird hier auch von einer “natürlichen Pronationsbewegung“ gesprochen. Hartschalen- und Kork-Leder Einlagen sind für mich “Krücken“ und haben in einem Sportschuh nichts zu suchen.
Laufschuhkauf.de: Woran erkennt der Laie, dass er orthopädische Einlagen braucht?
Marco Krückemeier: Meiner Meinung nach kann ein Laie selbstständig nicht herausfinden, ob er orthopädische Einlagen benötigt. Abgelaufene Außenkanten am Schuh und medialer Schuhabrieb im Vorfußbereich sind immer noch kein Indiz für die Notwendigkeit einer Einlage.
Laufschuhkauf.de: Bei welchen Problemen können orthopädische Einlagen helfen?
Marco Krückemeier: Mittlerweile gibt es ja sehr gute Konzepte die auch eine erhöhte Sensomotorik bewirken. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein gutes Einlagenkonzept Auswirkung auf den ganzen Körper hat. Im Vordergrund bei Sportlern steht für mich die Veränderung der Dynamik. Sensomotorik ist für mich ein positiver Nebeneffekt.
Laufschuhkauf.de: Was sollte beim Einsatz von orthopädischen Einlagen in Laufschuhen beachtet werden?
Marco Krückemeier: Die Funktion des Schuhs muss bekannt sein: Wie ist das Abrollverhalten vom Schuh? Wie unterstützt er die Pronationsbewegung? Wird die Ferse geführt? Führt der Schuh neutral?
Diese Eigenschaften muss ich dann mit dem Aufbau meiner Einlage vergleichen. Nicht selten habe ich Läufer die einen “Pronationsschuh“ in Kombination mit einer orthopädischen Einlage tragen und absolut überversorgt sind.
Laufschuhkauf.de: Aus welchem Material sollten Sporteinlagen gefertigt werden?
Marco Krückemeier: Beste Erfahrungen habe ich mit dem Ethylen-Vinylacetat (EVA) Material gemacht. Das Material ist ein hochwertiger, isolierender, reiß- und rutschfester Schaumstoff, der kein Wasser aufnimmt. Besonders bei starker Schweißbildung und hohen Belastungen ein ideales Material.
Laufschuhkauf.de: Was ist vom „Trend“ der ultraleichten Karboneinlagen zu halten?
Marco Krückemeier: Bis jetzt habe ich noch kein ideales Konzept gefunden, dass den hohen Belastungen beim Laufen stand hält. Ich denke aber, dass den Karboneinlangen die Zukunft gehört.
Laufschuhkauf.de: Im Bereich der Laufschuhe überschlagen sich die Entwicklungen momentan. Jeder versucht sich selbst zu übertreffen. Wie sieht die Entwicklung im Bereich der orthopädischen Einlagen aus? Was ist hier „Neues“ zu erwarten?
Marco Krückemeier: Wie schon angesprochen denke ich dass im Bereich Karboneinlagen noch Potenzial steckt. Hier wird es bestimmt in den nächsten Jahren neue Produkte auf dem Markt geben.
Auch die Verbindung Karbon und EVA wird sich weiter entwickeln und Neuerungen bringen. Sogar bei Verarbeitung von Gel- Material sind wir erst am Anfang.
Laufschuhkauf.de: Wie lange ist die Lebensdauer von orthopädischen Einlagen? Welche Erfahrungswerte habt ihr gemacht?
Marco Krückemeier: Bei Laufschuhen spricht man von einer Lebensdauer von ca. 800km. Man kann davon ausgehen, dass gleichzeitig die Funktion der Einlagen auch nachlässt.
Laufschuhkauf.de: Viele Läufer klagen über Blasen bei der Verwendung von Einlagen. Passen diese Einlagen nicht oder brauchen Einlagen eine gewisse „Einlauf- sprich Gewöhnungszeit“?
Marco Krückemeier: Natürlich benötigen Einlagen eine gewisse Einlauf- und Gewöhnungszeit. Man muss sich den Fall genau anschauen und die Positionen der Blasen mit den unterstützenden Elementen der Einlage vergleichen. Vielleicht hat sich der Orthopädietechniker mit der Höhe der Unterstützung verschätzt bzw. den Pronationsweg nicht mit einkalkuliert.
Trend – Entwicklungen im Laufschuhmarkt
Laufschuhkauf.de: Welches ist dein aktueller Lieblingslaufschuh?
Marco Krückemeier: Mein aktueller Lieblingsschuh für die kurzen Distanzen ist der Saucony Kinvara.
Für die längeren Distanzen laufe ich den Brooks PureCadence und den Saucony Mirage.
Laufschuhkauf.de: Wie siehst du die aktuelle Entwicklung im Laufschuhmarkt? Werden sich die Natural Running Schuhe/Fußtrainer durchsetzen?
Marco Krückemeier: Ich denke, dass die Zukunft den Lightweightschuhen gehört. Die Bewegungsfreiheit der Füße und die maximale Kontrolle des Fußaufsatzes werden auch in Zukunft eine ganz wichtige Rolle bei Laufschuhen spielen.
Fußtrainer werden auch weiterhin parallel als Zweitschuh eingesetzt. Dies sehe ich auch für sehr sinnvoll an. Laufanfänger sollten jedoch auf den Einsatz der Fußtrainer für längere Distanzen verzichten und eher auf Schuhe mit einer moderaten Dämpfung laufen.
Laufschuhkauf.de: Gibt es Personengruppen die besser nicht mit Natural Running Schuhen laufen sollten?
Marco Krückemeier: Grundsätzlich kann jeder Läufer einen “natürlichen Laufschuh“ laufen. Jedoch muss man auch diese Schuhe differenziert betrachten und die persönlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel Körpergewicht, Fußaufsatz, Pronationsbewegung, Trainingszustand, des Läufers berücksichtigen.
Laufschuhkauf.de: Wie gut passen orthopädische Einlage und Natural Running Schuh zusammen? Schließt sich das nicht aus?
Marco Krückemeier: Einen Widerspruch zwischen Natural Running und einer orthopädischen Einlage sehe ich nicht. Bei den meisten Laufschuhen kann ich eine konventionelle Einlage herausnehmen. Diese teilweise funktionslose Einlage kann doch durch eine ähnliche orthopädische Einlage mit minimalen Korrekturen ersetzt werden.
Wichtig ist dass die Dynamik der Einlagen beibehalten wird. Der Schuh darf durch die Einlagen in seiner Bewegung nicht eingeschränkt werden. Würde ich dagegen eine Schaleneinlage oder Kork-Leder Material verwenden, dann würde ich nicht mehr von Natural Running sprechen, da die Bewegungsfreit des Schuhs verloren geht.
Laufschuhkauf.de: Wie wird die Entwicklung weitergehen? Wie sehen die Trainingsschuhe in 2 – 3 Jahren aus?
Marco Krückemeier: Die Entwicklung der Laufschuhe wird natürlich weiter gehen. Die Schuhe werden noch leichter, noch atmungsaktiver und wasserdichter. Ich denke in den nächsten Jahren wird man die Obermaterialien weiter entwickeln und vielleicht auch mal einen Schuh der blasenfreies Laufen garantiert. Vielleicht wird es in Zukunft auch Vorfußtrainingsschuhe oder Mittelfußtrainingsschuhe geben, mit einer negativen Sprengung. Ich bin mir sicher, dass die Spezialisten sich schon etwas einfallen lassen werden.
Laufschuhkauf.de: Vielen Dank für das Gespräch.
Marco Krückemeier: Ich danke
Steckbrief Marco Krückemeyer
Marco Krückemeier wurde am 19.03.1981 in Minden geboren. Schon früh widmete er sich dem Sport und war in der Leichtathletik erfolgreich. So nahm er mehrfach an Deutschen Leichtathletik Meisterschaften teil. 2005 wurde er Deutscher Hochschulmeister mit der 4 x 100 m Staffel und 9. über 100 m. Momentan trainiert er die Damenmannschaft des ASV Köln im 7-Kampf.
Beruflich schlug er dann ebenfalls sportliche Wege ein und absolvierte ein Studium der Sportwissenschaft an der deutschen Sporthochschule in Köln.
Von 2009 war er in der Sportbranche beim Hersteller Chung-Shi beschäftigt und für den Vertrieb von orthopädischen Einlagen und Gesundheitsschuhen zuständig. Seit 2011 arbeitet der zertifizierte Bewegungsanalytiker beim Sanitätshaus Quarg als Abteilungsleiter für den Bereich Sport und Bewegungsanalyse.
Mit dem Sanitätshaus Quarg ist er neben der medizinischen und analytischen Versorgung der DEG auch für die orthopädische Versorgung des MSV Duisburg und von Fortuna Düsseldorf zuständig. Sein Arbeitgeber das Sanitätshaus Quarg wurde bereits 1970 gegründet und hat inzwischen 5 Filialen in Düsseldorf und eine Filiale in Ratingen. Neben Maßschuhen, Sonderschuhanfertigungen, Versorgung mit orthopädischen Einlagen und weiteren Leistungen der Orthopädietechnik ist ein zentraler Schwerpunkt die Bewegungsanalyse.